Anforderungsprofil
Anforderungsprofil = Ausprägung der Anforderungen die unter einem bestimmten Zielaspekt an einen Gegenstand, einen Prozess oder an den Menschen gestellt werden.
Das Anforderungsprofil (engl. = requirement profile) im Sport beschreibt den Ausprägungsgrad anzustrebender Leistungsvoraussetzungen als Ziel einer bestimmten Trainingsetappe. Das nachfolgend dargestellte Anforderungsprofil des Schwimmers ist vom Leistungsziel, der Wettkampfleistung, abgeleitet. Es ist damit eine wesentliche Größe der Trainingsplanung, welche die Leistungsstruktur für eine Zielstrecke voraussetzt. (Rudolph, K. ,(2017); Zugriff unter: Anforderungsprofil | SWIMLEX | Das Lexikon des Schwimmsports am 27.02.2021)
Das hier dargestellte schwimmspezifische Anforderungsprofil beschreibt differenziert entsprechend der Wettkampfdisziplin, welche Anforderung an die konditionellen und koordinativen Fähigkeiten, an die schwimmspezifische Fertigkeiten, an die Sensorik, an das taktische Vorgehen sowie die Psyche und mentale Stärke einer Schwimmerin und eines Schwimmer gestellt werden.
Das Anforderungsprofil orientiert sich dabei an dem von Weltklasseschwimmer:innen im Hochleistungsbereich. Dabei werden alle Wettkampfstrecken auf der 50-m-Bahn im Becken sowie die 10km im Freiwasserschwimmen für Athletinnen und Athleten ab einem Alter von 16/17 Jahren berücksichtigt.
Für das sportliche Training stellen die Bedeutungsangaben im Anforderungsprofil durch einen möglichen Soll-Ist-Vergleich eine detaillierte Zielvorgabe dar.
Konditionelles Anforderungsprofil
Die differenzierte Darstellung des Anforderungsprofils im Schwimmen soll in diesem Abschnitt auf die Fähigkeiten der aeroben und anaeroben Ausdauer, die Kraftdimensionen (Maximalkraft, Kraftausdauer, Schnellkraft), die Schnelligkeit und die Beweglichkeit in reduzierter Form gegenübergestellt werden. Hierzu werden diese Fähigkeiten tabellarisch in den folgenden Strecken/Schwimmarten kategorisiert.
Folgende divergierende Strecken/Schwimmarten werden kategorisiert:
- Alle Schwimmarten zusammengefasst über 50m, 100m, 200m
- 200m Lagen, 400m Lagen
- 400m, 800m und 1500m Freistil sowie 10km Freiwasser.
In den dargestellten Tabellen ist die konditionelle Fähigkeit aerobe Ausdauer (VO2max) auf die jeweiligen Streckenlängen bezogen. Je länger die Distanz desto ausgeprägter die Anforderung. Die Anaerobe Fähigkeit ist am stärksten über die 100m Strecken gefordert, da hier die höchsten Kapazitäten (VLamax, Max.-Laktat-Werte) zu erwarten sind. Die höchsten Krafteinsätze (Maximal-kraft) sind streckenlängenspezifisch zu sehen. Abfallend von den 50m Strecken zu den Langdistanzen. Ausnahme bildet hier die „Sprintdistanz“ 200m Lagen, die eher vergleichbar mit den 100m Strecken ist.
Der Ausprägungsgrad der Kraftausdauer bezieht sich ebenfalls auf die Streckenlänge (je länger desto höher) und geht davon aus, dass die durchschnittlich realisierten Krafteinsätze über die Dauer der Distanz maximal möglich aufrechtzuerhalten sind (Ermüdungswiderstandsfähigkeit). Die Summe der maximal durchschnittlich realisierten Krafteinsätze (maximales Kraftniveau) verringert sich über die Zeitdauer (Freiwasserschwimmen), deshalb wird hier nur von einer geringen Ausprägung, im Gegensatz zu den Mitteldistanzen, ausgegangen.
Analog zur Maximalkraft verhält es sich bei der Schnellkraft bei der Anforderungsverteilung. Die Fähigkeit in möglichst kurzer Zeit einen maximalen Kraftimpuls zu erzeugen, ist am stärksten ausgeprägt je kürzer die Streckenlänge ist. Auch bei der Schnelligkeitsanforderung wird von einer steigenden Ausprägung im Hinblick auf die Streckenlänge ausgegangen. Je kürzer desto ausgeprägter.
Der Beweglichkeit kommt im Schwimmen insgesamt eine hohe Bedeutung über alle Disziplinen und Streckenlängen bei. Schwimmartspezifische Ausprägungen sind für den maximalen Leistungsanspruch zusätzlich maßgebend.
Koordinatives Anforderungsprofil
Die differenzierte Darstellung des Anforderungsprofils im Schwimmen soll in diesem Abschnitt auf die koordinativen Fähigkeiten (Reaktion, Rhythmus, Gleichgewicht, Orientierung, Differenzierung, Kopplung, Umstellung) in reduzierter Form gegenübergestellt werden.
Bezogen auf den Einfluss auf die Gesamtdistanz zeichnet sich die Startreaktion in Ihrer Bedeutung ab. Die Gewichtung bei einer insgesamt kurzen Zeitdauer der Wettkampfstreckung ist ungleich höher als bei den längeren Distanzen.
Die Rhythmusfähigkeit (extern und intern) ist jeweils bei den Gleichschlagschwimmarten ausgeprägter als bei den Wechselschwimmarten. Das Freiwasserschwimmen bildet hier die Ausnahme, da auf Grund der Dauer und der äußeren Einflüsse hier eine Sonderstellung einnimmt. Die Gleichgewichtsfähigkeit richtet sich an die Anforderungen des Startablaufes (u.a. auf dem Block, Staffelwechsel) und den Wechsel der Schwimmrichtungen.
Die Informationsverarbeitung im Raum-Zeit Verhältnis, bzw. in sich selbst (Orientierungsfähigkeit), steigert sich in Hinblick auf die Streckenlänge. Das Rückenschwimmen bildet auf Grundlage seiner Schwimmartspezifik bei der Wendenaktion (Rotation Rücken-Bauchlage) eine höhere Anforderung. Gleiches spielt bei den 200/400m Lagen eine Rolle.
Die Differenzierungsfähigkeit richtet sich nach der Genauigkeit und Feinabstimmung der Bewegungen in den unterschiedlichen Schwimmarten und Streckenlängen. Besondere Anforderungen sind dadurch insbesondere durch die Schwimmartenwechsel bei den Lagenstrecken gefordert. Bei den langen Kraulstrecken stellt die Differenzierungsfähigkeit eine geringere Ausprägung dar. Begründet wird dies mit dem Einfluss der Feinabstimmung in der Summe der Bewegungen auf das Gesamtergebnis. Im Gegenteil verhält es sich bei den 200m Brustdistanz, hier ist die Ökonomisierung der Bewegungsfeinabstimmung und -genauigkeit am stärksten ausgeprägt. Die Kopplungsfähigkeit der Teilbewegungen unterscheidet sich in Über- und Unterwasseraktionen. Beim Schmetterlings-, Brust- und Lagenschwimmen stellt es hier besondere Anforderung dar. Die Umstellungsfähigkeit stellt keine besonderen Anforderungen im Schwimmen auf den Distanzen bis 400m dar. Erst ab den längeren Strecken werden Reaktionen auf unvorhergesehene Renneinwirkungen bedeutungsvoller.
Anforderungsprofil zur Technik, Sensorik und Taktik
Die differenzierte Darstellung des Anforderungsprofils im Schwimmen soll im kommenden Abschnitt auf die Technik, Sensorik, Taktik, Psyche und mentale Stärke in reduzierter Form erläutert werden.
Technische Anforderungen
Der technische Anspruch in Bezug auf das Erreichen einer Weltklasseleistung ist in jeder Schwimmart und beim Lagenschwimmen hoch. Im Hinblick auf die Streckenlänge sind vermehrt individuelle technische Ausführungen („Rutscher“ vs. „Frequenzschwimmer“) ab den 400m Freistil bis zu den Langstrecken (800m F/1500m F) zu erkennen. Trotz der Unterschiede bleibt die Anforderung an die technische Umsetzung (u.a. Qualität pro Zug, Zyklusweg, Krafteinsatz) erhalten. Es zeigt sich ein mittlerer Ausprägungsgrad in Bezug auf das Gesamtergebnis. Im Freiwasserschwimmen ist davon auszugehen, dass im Vergleich zu den Beckendisziplinen, die geringsten Anforderungen an die Technik gestellt werden, da die Qualität pro Zug auf das Gesamtergebnis im Durchschnitt zu vernachlässigen ist (hier eher „Ökonomisierungseffekte“). Aufgrund der jungen olympischen Disziplin 10km Freiwasserschwimmen kann davon ausgegangen werden, dass sich das technische Anforderungsprofil im kommenden Olympiazyklus an den langen Strecken des Beckenschwimmens angleichen wird.
Sensorische Anforderungen
Akustische Reize (Startsignal, Pfiff) kommen im Schwimmen beim Start und bei den längeren Strecken ab 800m zum Anzeigen der letzten zwei Bahnen vor. Je kürzer die Strecke im Becken desto höher kann der Einfluss von akustischen Reizen auf die Leistungsfähigkeit sein. Demnach wird beim Anforderungsprofil für die Streckenlängen 50-100m in allen Schwimmarten von einer hohe, für 200m von einer mittleren und ab 400m im Becken und bis 10km im Freiwasser von einer geringen Ausprägung ausgegangen.
Die unbewusste Kontrolle und Steuerung von Kraft und Bewegungen (= Kinästhesie) nehmen eine ähnliche Staffelung in Bezug auf die Streckenlänge in der Bedeutung im Anforderungsprofil Schwimmen ein. Je kürzer die Distanz und Wettkampfdauer desto automatisierter und überschneidender (kürzere Taktung der Reizverarbeitung) werden viele Abläufe ausgeführt und stellen damit höhere kinästhetische Anforderungen dar.
Taktile Fähigkeiten betreffen beim Schwimmen insbesondere das Wassergefühl (= Wahrnehmung des Mediums Wasser über Hände und Füße sowie generell über das Anströmen des Wassers auf der Haut), welches bei den Beckenwettbewerben unverändert anfordernd ist. Eine Besonderheit stellt allerdings das 10km Freiwasserschwimmen dar. Hier wird die Ausprägung höher eingeordnet. Die taktilen Reize können sich durch äußere Umgebungsbedingungen, auch innerhalb eines Rennens, verändern.
Taktische Anforderungen
Die taktischen Anforderungen steigen im Mittel über die Strecken. Sie bilden über die Langdistanzen (800m, 1500m F) hohe Anforderungen und beim Freiwasser (Massenstart, Gruppen-schwimmen, Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme, Strömungsverhalten, Renneinteilung auf Grund äußerer Bedingungen uvm.) die höchsten Anforderungen an den Sportler*in.
Der Vorgang des Lernprozesses kann als ein dreigliedriges Zahnradsystem von der Grobform (= Phase der Aneignung und Vollzugsorientierung; Erlernen) über die Feinform (= Phase der Vervollkommnung und Individualisierung; Vervollkommnen) hin zur Automatisierung und variablen Verfügbarkeit (= Phase der Perfektionierung und Leistungsorientierung; Stabilisieren) verstanden werden. Dabei handelt es sich nicht um jeweils abgeschlossene Phasen, sondern vielmehr um ein Ineinandergreifen. Zudem zeichnet sich der Lernprozess nicht linear ab. Es können Abschnitte des höheren Zuwachses sowie Plateau-Phasen beobachtet werden.